Samstag, 9. August 2014

Auf dem Nisutlin-River

Am nächsten Morgen sind wir noch unschlüssig, wie unser Programm aussieht. Sollen wir nach Atlin weiterreisen? Dort soll es scheinbar schöne Kanutouren auf dem grossen See geben. Oder sollen wir hier den Teslin River befahren? Wir entscheiden uns, mehr über die zweite Variante in Erfahrung zu bringen. Paddeln auf dem See ist halt schon nicht so reizvoll wie das Befahren eines fliessenden Gewässers. Andererseits muss man bei Flüssen immer auch irgendwie an den Ausgangspunkt respektive wieder zurück zum Auto gelangen.  

Teslin besteht aus weniger als 50 Häusern. So haben wir schon am Abend vorher gesehen, dass vor einem Haus ein grosses Schild mit dem Hinweis „Kanutouren und Ausrüstung“ steht. Nun klopfen wir hier also an und erkundigen uns nach Möglichkeiten einer Kanutour auf dem Teslin River bzw. eines Shuttles an den Ort des Einwasserns. Doug ist der Bewohner dieses Häuschens. Und nach und nach stellt sich dann heraus, dass er Kanutouren, Ausrüstung und Logistik mehr als Nebenerwerb anbietet und wir eigentlich Glück haben, dass er am Dienstag um 11 Uhr zu Hause ist und nicht im Wald am Holz fällen. Wir müssen ihm die Infos anfänglich etwas aus der Nase ziehen. Der Teslin River sei eher als längere Tour gedacht (ca. 8 – 10 Tage). Aber der Nisutlin River wäre eine mögliche Tour. Einfach aber sehr schön. Also genau das, was wir gesucht haben. Doug würde uns an den 140 km entfernten Ausgangspunkt bringen. Der Shuttle kostet 250 Dollar. Wir schlucken leer und fragen nach kurzem Zögern, ob es auch günstiger geht. Doug überlegt und meint dann: „Ja, wenn wir mit eurem Auto fahren.“ Da sich aber herausstellt, dass zwei Drittel der Strecke Schotterpiste ist, verzichten wir auf dieses Angebot und entschliessen uns, die Tour trotzdem zu machen.  

Eine Stunde später sind wir startbereit. Als wir Dougs Auto sehen, überlegen wir noch kurz, ob wir nicht doch unseres nehmen sollen. So einen Rosthaufen haben wir schon lange nicht mehr gesehen. Sein richtiges Auto sei halt gerade in der Garage … .

Nun denn, komme was wolle – los geht’s. Der erste Streckenteil auf dem Alaska Highway verläuft problemlos. Mit jedem Kilometer wird Doug gesprächiger und wir erfahren, dass dieses Auto „erst“ 24 jährig sei. Schluck! Dann biegen wir ab auf die Gravel Road. Ich sitze hinten und fresse Staub. Da die Heckklappe kaputt ist, mussten wir unser Gepäck durch die Heckscheibe, die sich öffnen lässt, in den Kofferraum packen. Diese Scheibe ist noch immer offen und führt dazu, dass innert kürzester Zeit alles mit einer feinen Staubschicht bedeckt ist. Je länger wir auf der Schotterpiste fahren, umso grösser werden die Schlaglöcher. Ich überlege, ob vor 24 Jahren die Stossdämpfer schon erfunden waren. Bei den heftigsten Löchern werde ich fast durchs Autodach geschleudert. Nun, das ginge ja noch. Doch mit zunehmender Dauer macht sich der Liter Kaffee, den ich heute Morgen getrunken habe, immer deutlicher bemerkbar. Eine volle Blase und Schlaglöcher vertragen sich definitiv schlecht … . Irgendeinmal wird dann ein kurzer Stopp unausweichlich, dafür kann ich die nächste Stunde wieder an anderes denken als nur an meine volle Blase. Z.B. welch guter Entscheid es war, nicht unser Auto dieser Tortur auszusetzen. Nach geschlagenen zweieinhalb Stunden sind wir endlich am Ausgangspunkt unserer Kanureise. Doug hat uns noch eine Karte mitgegeben, jedoch auch gesagt, dass sie nicht sehr genau sei. Wir wissen einfach, dass die Strecke bis in die Nisutlin Bay ca. 140 km lang ist und dass die ca. 10 km vom Einfluss des Nisutlin bis nach Teslin mit Vorteil am Morgen gefahren werden, da auf dem See spätestens ab dem Mittag sehr starker und böiger Gegenwind herrscht.  

Nun sind wir also mutterseelen allein am Paddeln. Der Fluss ist zwischen 30 – 200 Meter breit und von der Strömung her mit den einfacheren Streckenabschnitten der Reuss oder der Aare vergleichbar. Wir schätzen, dass wir mit etwa 7 – 9 km/h vorwärtskommen. Wenn wir jeden Tag 4 – 5 Stunden  paddlen, sollten wir am Samstag, dem fünften Tag nach unserer Abfahrt, zurück sein. Da wir am ersten Tag erst um 17 Uhr starten, gibt es da nur eine kurze Etappe. Der Fluss mäandriert stark und in praktisch jeder Kurve hat es wunderschöne Kiesbänke, welche sich zum Biwakieren anbieten. Die Plätze sind absolut perfekt: Das Schwemmholz ist knochentrocken und liegt zur Genüge herum, die Kiesstrände sind flach, das Wasser sauber. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Und so ist bei der Auswahl des Übernachtungsplatzes häufig die Sonne das Hauptkriterium.  

Ein kleiner Einschub, wenn wir schon mal von der Sonne sprechen: Während die Schweiz im Wasser zu versinken scheint, hatten wir hier im letzten knappen Monat genau einen Tag Regen! Zwar sind die Tage hier auf dem Nisutlin River keinesfalls wolkenlos. Aber nass werden wir nicht. Wir sind doch schon ziemlich nördlich und die Tage dementsprechend lang. Die Sonne geht erst um etwa 21 Uhr unter und um 6 Uhr wieder auf. Und oft sind die Morgen- und Abendstunden klar und wolkenlos, was ganz besondere Stimmungen entstehen lässt. Während des Tages nehmen Bewölkung und Wind zu und die Temperaturen liegen zwischen 10 – 20 Grad. Heute Morgen hatten wir bereits etwas Reif auf dem Zelt. Doch wenn dann die Sonne kommt, wird es schnell angenehm warm. Und der Vorteil der kalten Nächte ist, dass wir praktisch keine Moskitos und sonstige lästige Viecher mehr haben.  

Und nun noch etwas zur Beruhigung aller besorgten Mütter, Väter und anderen Menschen: Es ist definitiv nicht so, dass die Bären, Wölfe und anderen "gefährlichen" Tiere nur darauf warten, einen zarten Paddler auf den Speiseplan zu bekommen (natürlich vorausgesetzt, man hält sich an die wichtigsten Spielregeln). Nur mit viel Glück und Geduld bekommt man diese Tiere zu Gesicht. 

Bis jetzt konnten wir Biber, ein Stachelschwein, Weisskopfseeadler, und vier Elche beobachten. Und gestern Morgen wurden wir vom Heulen der Wölfe geweckt. Ein schaurig schöner Morgengruss. Sie klangen nah, doch gesehen haben wir leider keinen dieser scheuen Gesellen. Nur die Grizzlys halten sich noch bedeckt. Aber wir sind sicher, dass wir in den nächsten 6 Wochen auch die noch zu Gesicht bekommen werden. 

(Simi)

 

 

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