Teslin besteht aus weniger als 50 Häusern. So haben wir
schon am Abend vorher gesehen, dass vor einem Haus ein grosses Schild mit dem
Hinweis „Kanutouren und Ausrüstung“ steht. Nun klopfen wir hier also an und
erkundigen uns nach Möglichkeiten einer Kanutour auf dem Teslin River bzw.
eines Shuttles an den Ort des Einwasserns. Doug ist der Bewohner dieses
Häuschens. Und nach und nach stellt sich dann heraus, dass er Kanutouren,
Ausrüstung und Logistik mehr als Nebenerwerb anbietet und wir eigentlich Glück
haben, dass er am Dienstag um 11 Uhr zu Hause ist und nicht im Wald am Holz
fällen. Wir müssen ihm die Infos anfänglich etwas aus der Nase ziehen. Der
Teslin River sei eher als längere Tour gedacht (ca. 8 – 10 Tage). Aber der
Nisutlin River wäre eine mögliche Tour. Einfach aber sehr schön. Also genau
das, was wir gesucht haben. Doug würde uns an den 140 km entfernten
Ausgangspunkt bringen. Der Shuttle kostet 250 Dollar. Wir schlucken leer und
fragen nach kurzem Zögern, ob es auch günstiger geht. Doug überlegt und meint
dann: „Ja, wenn wir mit eurem Auto fahren.“ Da sich aber herausstellt, dass
zwei Drittel der Strecke Schotterpiste ist, verzichten wir auf dieses Angebot
und entschliessen uns, die Tour trotzdem zu machen.
Eine Stunde später sind wir startbereit. Als wir Dougs Auto
sehen, überlegen wir noch kurz, ob wir nicht doch unseres nehmen sollen. So
einen Rosthaufen haben wir schon lange nicht mehr gesehen. Sein richtiges Auto
sei halt gerade in der Garage … .
Nun denn, komme was wolle – los geht’s. Der erste Streckenteil
auf dem Alaska Highway verläuft problemlos. Mit jedem Kilometer wird Doug
gesprächiger und wir erfahren, dass dieses Auto „erst“ 24 jährig sei. Schluck!
Dann biegen wir ab auf die Gravel Road. Ich sitze hinten und fresse Staub. Da
die Heckklappe kaputt ist, mussten wir unser Gepäck durch die Heckscheibe, die
sich öffnen lässt, in den Kofferraum packen. Diese Scheibe ist noch immer offen
und führt dazu, dass innert kürzester Zeit alles mit einer feinen Staubschicht
bedeckt ist. Je länger wir auf der Schotterpiste fahren, umso grösser werden
die Schlaglöcher. Ich überlege, ob vor 24 Jahren die Stossdämpfer schon
erfunden waren. Bei den heftigsten Löchern werde ich fast durchs Autodach
geschleudert. Nun, das ginge ja noch. Doch mit zunehmender Dauer macht sich der
Liter Kaffee, den ich heute Morgen getrunken habe, immer deutlicher bemerkbar.
Eine volle Blase und Schlaglöcher vertragen sich definitiv schlecht … .
Irgendeinmal wird dann ein kurzer Stopp unausweichlich, dafür kann ich die
nächste Stunde wieder an anderes denken als nur an meine volle Blase. Z.B.
welch guter Entscheid es war, nicht unser Auto dieser Tortur auszusetzen. Nach
geschlagenen zweieinhalb Stunden sind wir endlich am Ausgangspunkt unserer
Kanureise. Doug hat uns noch eine Karte mitgegeben, jedoch auch gesagt, dass
sie nicht sehr genau sei. Wir wissen einfach, dass die Strecke bis in die
Nisutlin Bay ca. 140 km lang ist und dass die ca. 10 km vom Einfluss des
Nisutlin bis nach Teslin mit Vorteil am Morgen gefahren werden, da auf dem See
spätestens ab dem Mittag sehr starker und böiger Gegenwind herrscht.
Nun sind wir also mutterseelen allein am Paddeln. Der Fluss
ist zwischen 30 – 200 Meter breit und von der Strömung her mit den einfacheren
Streckenabschnitten der Reuss oder der Aare vergleichbar. Wir schätzen, dass
wir mit etwa 7 – 9 km/h vorwärtskommen. Wenn wir jeden Tag 4 – 5 Stunden paddlen, sollten wir am Samstag, dem fünften
Tag nach unserer Abfahrt, zurück sein. Da wir am ersten Tag erst um 17 Uhr
starten, gibt es da nur eine kurze Etappe. Der Fluss mäandriert stark und in
praktisch jeder Kurve hat es wunderschöne Kiesbänke, welche sich zum Biwakieren
anbieten. Die Plätze sind absolut perfekt: Das Schwemmholz ist knochentrocken
und liegt zur Genüge herum, die Kiesstrände sind flach, das Wasser sauber. Wer
die Wahl hat, hat die Qual. Und so ist bei der Auswahl des Übernachtungsplatzes
häufig die Sonne das Hauptkriterium.
Ein kleiner Einschub, wenn wir schon mal von der Sonne
sprechen: Während die Schweiz im Wasser zu versinken scheint, hatten wir hier
im letzten knappen Monat genau einen Tag Regen! Zwar sind die Tage hier auf dem
Nisutlin River keinesfalls wolkenlos. Aber nass werden wir nicht. Wir sind doch
schon ziemlich nördlich und die Tage dementsprechend lang. Die Sonne geht erst
um etwa 21 Uhr unter und um 6 Uhr wieder auf. Und oft sind die Morgen- und
Abendstunden klar und wolkenlos, was ganz besondere Stimmungen entstehen lässt.
Während des Tages nehmen Bewölkung und Wind zu und die Temperaturen liegen
zwischen 10 – 20 Grad. Heute Morgen hatten wir bereits etwas Reif auf dem Zelt.
Doch wenn dann die Sonne kommt, wird es schnell angenehm warm. Und der Vorteil
der kalten Nächte ist, dass wir praktisch keine Moskitos und sonstige lästige
Viecher mehr haben.
Und nun noch etwas zur Beruhigung aller besorgten Mütter,
Väter und anderen Menschen: Es ist definitiv nicht so, dass die Bären, Wölfe
und anderen "gefährlichen" Tiere nur darauf warten, einen zarten Paddler auf den
Speiseplan zu bekommen (natürlich vorausgesetzt, man hält sich an die
wichtigsten Spielregeln). Nur mit viel Glück und Geduld bekommt man diese Tiere
zu Gesicht.
Bis jetzt konnten wir Biber, ein Stachelschwein, Weisskopfseeadler, und vier Elche beobachten. Und gestern Morgen wurden wir vom Heulen der Wölfe geweckt. Ein schaurig schöner Morgengruss. Sie klangen nah, doch gesehen haben wir leider keinen dieser scheuen Gesellen. Nur die Grizzlys halten sich noch bedeckt. Aber wir sind sicher, dass wir in den nächsten 6 Wochen auch die noch zu Gesicht bekommen werden.
(Simi)
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