Doch auf einmal höre ich Hilferufe! Sie sind hoch und schrill und lassen keine Zweifel aufkommen: da ist jemand in grosser Not. Blitzschnell richte ich mich auf, blinzle meine Träume weg und bin bereit, mich als Rettungsschwimmer (ich habe im letzten Sommer bei Simi das Seepferdchenabzeichen bestanden) nützlich zu machen. Ich lasse meinen Blick über das Flussufer schweifen - nichts. Ich schaue in Richtung Himmel - nichts. Und wieder höre ich diese lauten, ängstlichen Rufe. Da muss doch was sein oder habe ich mir einen Stilletinitus eingefangen? Nein, dort hinten sehe ich etwas. Da schwimmt doch tatsächlich ein Streifenhörnchen mitten im Fluss, respektive strampelt um sein Leben. „Streifenhörnchen über Bord! Alle Maschinen stopp!“, rufe ich Simi zu. Mit vereinten Paddelschlägen rudern wir rückwärts gegen die Strömung Richtung Unglückshörnchen. Als Einstiegsleiter halte ich ihm das Paddel hin. Das Streifenhörnchen lässt sich nicht zweimal bitten und klettert hastig an Bord und versteckt sich zitternd und patschnass zwischen dem Gepäck. Ich denke nur: Hoffentlich ist es ihm nicht zu wohl und es beginnt, an der Bootswand zu knabbern. Doch meine Sorge ist unbegründet, denn das Hörnchen muss zuerst wieder zu Atem kommen. Wir paddeln mit unserem Gast eiligst ans nächste Ufer und bitten es, auszusteigen. Noch nass, jedoch mit einem frechen Grinsen auf den Zähnen, hüpft das Streifenhörnchen aus dem Boot und über die Kiesbank zum angrenzenden Wald. Wir sind stolz, dass wir den kleinen Hauptdarsteller von Ice Age und somit die nächste Folge (welche im Sommer 2016 in die Kinos kommt) retten konnten; gern geschehen J!
Noch voll beflügelt vom Adrenalin haben wir gar nicht
bemerkt, dass vor uns das erste Etappenziel am Horizont auftaucht. Im Dorf Kobuk wohnen rund 200 Leute, welche nur
über eine Luftbrücke mit der Zivilisation verbunden sind. Langsam nähern wir
uns den ersten Hütten. So muss sich Kolumbus gefühlt haben, als er Amerika
entdeckte. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir von überall beobachtet
werden, doch zu sehen ist praktisch niemand. Wir landen an, steigen aus
unseren Kanus und ziehen sie etwas die Böschung hoch. Nun sind wir also in
Kobuk. OK - und was nun? Wir stehen einfach nur da, fühlen uns etwas ausgestellt und sind
uns unserer nächsten Schritte unschlüssig. Mal abwarten. Mit dieser
Taktik fährt man in Alaska ganz gut. Man gibt sich gegenseitig die nötige Zeit,
sich auf den anderen einzustellen. Nach ein paar Minuten schlendert ein
Eskimomann „zufällig“ am Ufer entlang, kommt auf uns zu und erkundigt sich, ob
wir einen Elch gesehen haben. Von tief unten holt er einen grossen, braunen Schleimigen
herauf und spuckt ihn auf den Boden. Hoppla, ist das eine Art von
Revierverteidigung? Als wir ihm sagen, dass wir keinen Elch gesehen haben,
nickt er bloss und sein Interesse an uns ist weg - ebenso er selber. Wir stehen
wieder alleine oben an der Böschung und - warten. Ein paar Minuten später
taucht ein jüngerer Mann auf und das Ganze wiederholt sich: Die obligate
Elchsichtungsfrage, abgeschlossen mit einem, diesmal etwas dünnflüssigeren,
braunen Schleimigen. Dieser Eskimo ist aber auch an uns und unserer Reise interessiert.
Er führt anschliessend Simi und Philipp durch die „City“, René und ich bewachen
das Gepäck, denn Guy, so heisst der Eskimo, warnt uns vor den vielen Räuber, die
im Dorf leben. Als Simi und Philipp von ihrer Besichtigungstour zurückkehren,
schauen René und ich in zwei nicht gerade strahlende Gesichter. Die
öffentlichen Duschen, wie auch das Wäschehaus gibt es nicht mehr, ebenso wenig
wie ein Restaurant oder eine überdachte Bleibe. Doch Guy strahlt mit seinem
Dauergrinsen all unsere Enttäuschung weg und zeigt uns einen Platz, auf dem wir
unsere Zelte aufstellen können. Flexibilität und Gelassenheit - zwei Wörter,
welche eine immer grössere Bedeutung auf unserer Reise bekommen. Und so setzen
wir auf die andere Seite des Flusses über und bauen unser Camp auf. Simi und
René anerbieten sich, das Nachtessen zu kochen. Phillip und ich wollen im
Gegenzug im Kobuk Store shoppen
gehen. Der Kobuk Store entpuppt sich
als Tante-Emma-Laden der Extraklasse. Ok, vielleicht etwas teuer, doch man
bekommt alles, was das Herz begehrt: Schokolade, Cola, Mehl, DVD’s, Motorsägen,
Gewehre und Pistolen - jedoch keinen Tropfen Alkohol. Alle Eskimodörfer sind „trocken“,
zum Ärger der Eskimos und auch von uns. Die Alkoholproblematik ist in Alaskas
Norden ein grosses Problem und die Regierung tut gut daran, das Verbot rigoros durchzusetzen.
Wir sind überzeugt, dass sich ganze Dörfer zu Tode trinken und so der letzte
Rest von Eskimokultur im Alkoholrausch weggespült werden würde. Und so vertrösten
wir unsere Gelüste auf ein kühles Blondes auf später.
Vollbepackt mit Leckereien kehren wir in unser Camp zurück,
wo wir von Simi und René schon sehnlichst erwartet werden. Unsere Shoppingtour
hat sich nämlich etwas in die Länge gezogen, da wir überall wieder „hängengeblieben“
sind. Zuerst beim Verkäufer im Kobuk
Store, einem ausgewanderten Russen, welcher nach anfänglicher Zurückhaltung
eine Geschichte nach der anderen zum Besten gegeben hat. Dann gab es einen kurzen
Schwatz mit der Dorfjugend, dann mit dem Dorfopa und dann tauchte Guy wieder auf.
Es ist spannend, so nah am Leben der Einheimischen zu sein. Da sind plötzlich
ganz andere Dinge und Werte wichtig, über welche wir uns zu Hause in der
Schweiz nie Gedanken machen würden. Schlussendlich müssen wir uns richtiggehend
losreissen und versprechen, dass wir morgen wiederkommen, denn wir sind wie
gesagt, etwas spät dran. Doch mit den feinen Gaben haben wir einen guten Joker
im Ärmel. Wir beeilen uns, schnellstmöglich zum Camp zurück zu kehren. Zu meinem Erstaunen meint Simi zu
unserer Verspätung nur: „Ich habe schon vermutet, dass es später werden wird
und habe eine zusätzliche Stunde miteingeplant.“ Puhh, da haben wir ja wieder
einmal Glück gehabt...
Der Abend in Kobuk beginnt mit dem Mondaufgang
- voll und farbig. Als wir nach dem Essen am Feuer sitzen und unsere Erlebnisse
austauschen, stösst Guy noch dazu. Er sucht richtiggehend den Kontakt zu uns.
Er erzählt und fragt und lacht viel. Er lädt uns ein, ihm am nächsten Morgen
beim Auseinandertrennen seiner gejagten Karibus zuzuschauen. Natürlich sind wir
dabei, grosses Eskimo-Ehrenwort!
(Adi)
(Adi)
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