Montag, 10. November 2014

Ein magischer Ort

Als wir unser „letztes“ Lager aufstellen, beschliesse ich, das Hinterland zu erkunden. Vom Fluss aus konnte man nur erahnen, dass es hinter der Böschung, über die man nicht spähen konnte, eine Ebene haben musste. Und diese wollte ich nun sehen. Ich stapfe über die Kiesbank und steige die steile Böschung hinauf.
Was ich zu sehen bekomme, raubt mir den Atem. Soweit das Auge reicht, breitet sich vor mir eine riesige Ebene aus.


Der Boden besteht aus grossen, einzelnen Grasbüscheln, welche aber ziemlich sumpfig sind. Ich muss schauen, dass ich nicht zu lange an derselben Stelle stehe, da ich sonst einsinke. So balanciere ich von Büschel zu Büschel und hoffe, dass meine Schuhe einigermassen trocken bleiben.
Das Licht der untergehenden Sonne gibt der Szene den finalen Touch. So muss sich Winnetou gefühlt haben, als er durch die weite Wildnis geritten ist; hugh! Aber nicht nur mir ergeht es so.

Simi und die anderen beiden sind ebenso beeindruckt und wir starten eine Fotosession. Als dann Philipp noch seine Drohne startet, könnte man meinen, dass wir bei einem richtigen Filmdreh sind. Mit dem letzten Knips der Kamera verschwindet die Sonne dann am Horizont und es wird schlagartig kalt. Ich beschliesse, am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang wieder hierher zu kommen und hoffe, dass sich diese mystische Stimmung nochmals zeigen wird und ich sie mit der Kamera einfangen kann.

(Adi)


Morgengruss

Seit rund einer Woche sind wir nun unterwegs. Täglich stehen wir gemütlich zwischen 0830 und 0900 Uhr auf, bereiten unser Frühstück vor und kneten den Brotteig für den nächsten Tag. Es herrscht eine gemütliche, entspannte Atmosphäre. Jeder hat etwas zu tun und trotzdem kann sich jeder so viel Zeit lassen, wie er oder sie braucht. Manchmal stehe ich einfach nur da, atme die frische Morgenluft ein und lasse diese Morgenstimmung auf mich wirken. Auch wenn die täglichen Abläufe sich ähneln, Langeweile kommt nie auf. So stelle ich mir wahre Freiheit vor: keine Zwänge aushalten müssen, im Moment leben und reichlich Zeit für sich selber haben können. Ich versuche, diese Momente für zu Hause in meinem Herzen zu konservieren.

Nach dem Campabbau und dem Beladen der Boote, geht’s in der Regel um 1200 Uhr auf unserer Flussreise weiter. Jedes Mal freue ich mich auf das Unvorhersehbare. Ich freue mich auf jede Flusswindung, da hinter ihr etwas Neues, Spannendes hervorkommen kann. Und tatsächlich werden meine Hoffnungen praktisch jeden Tag erfüllt.

Manchmal grüsst der Bär, manchmal der Elch oder aber der Fischadler zeigt uns seine akrobatische Flugschau mit anschliessendem perfektem Fischfang. Unglaublich, mit welcher Präzision er jeweils aus der Luft in den Fluss hinabsticht und sich die Fische greift. Anschliessend werden die erbeuteten Fische während dem Auffliegen in Längsrichtung  gedreht, so dass der Fisch weniger Luftwiderstand verursacht. Und ich sitze in der ersten Reihe und kann das Spektakel bewundern - toll!


Nicht nur die Tiere grüssen uns herzlich. Eines Morgens entdecken wir am Ufer ein Camp. Die Konstruktion der Hütten besteht aus dünnen Stämmchen, welche mit Plastikblachen eingekleidet sind. Ich bin eigentlich etwas enttäuscht, da ich mir die Inuit- und Indianercamps etwas romantischer vorgestellt habe. Irgendwie so mit Tipis und Squaws davor, welche die erlegte Beute der Männer verarbeiten. Doch sicher keine solchen Plastikhütten. Die Bilder von „Free Zaffaraya“ von den 80er Jahren kommen mir in den Sinn.

Das Camp ist bewohnt. Kinder springen barfuss am Ufer entlang und erwachsene Personen stehen herum. Als sie uns entdecken, winken und rufen sie uns  „Welcome in Alaska!“ zu. Wir winken zurück, bedanken uns und schon sind wir am Camp vorbeigetrieben. Upps, das ging jetzt aber etwas schnell. Wir beschliessen, beim nächsten Camp anzulegen, wenn wir wieder so herzlich begrüsst werden. 

Es dauert dann auch nicht lange, bis wir auf das nächste Camp stossen. Wir landen an und begrüssen die Einheimischen richtig. Es ergibt sich ein spannendes Gespräch, in welchem wir all unsere Fragen zum Land, den Tieren und den Gewohn- und Gepflogenheiten der Inuit stellen können. Die Inuit nehmen sich Zeit, uns alles zu erklären und zu zeigen. Für mich ist dies erlebte Geschichte, denn vor hundert Jahren haben diese Menschen ähnlich gelebt. Der Fischfang und die Jagd waren dazumal gleich bedeutend wie heute.

Der ganze Alltag der Inuit hat sich schon damals hauptsächlich um die Nahrungsbeschaffung gedreht. Auch das Rollenverständnis von Mann und Frau ist gleich geblieben: Die Männer sind für die Jagd und den Fischfang, die Frauen für die Weiterverarbeitung  der erlegten Tiere zuständig.

Nach rund dreiviertel Stunden verabschieden wir uns von den Eskimos. Wir sind sehr beeindruckt und haben auf der Weiterfahrt Zeit, das Gehörte und Erlebte nochmals gemeinsam zu diskutieren, bis wir an einer wunderschönen Kiesbank unsere Zelte aufstellen. Es wird das letzte Camp am Kobuk-River sein, da wir nun nur noch ungefähr 15 Kilometer von unserem ersten Etappenziel Kobuk (Dorf) entfernt sind und morgen dort eintreffen werden.


(Adi)